2017 habe ich meine Spezialisierung in Kinderaugengesundheit in Indien erfolgreich abgeschlossen. Als ich zurück nach Mosambik kam, wusste ich nicht ganz, wo ich anfangen soll. Es gab so viel zu tun. Kinder erblindeten, ohne Hilfe zu bekommen. Denn das Wissen über Kinderaugengesundheit war hier auch unter den Augenärzt:innen viel zu gering. Ganz zu schweigen von der fehlenden Infrastruktur.
Ich heuerte daher am Quelimane Central Hospital an. Das Krankenhaus ist das Referenzkrankenhaus der Provinz Zambesia (rund fünf Millionen Einwohner:innen). Der Augenmedizin stand hier nur ein kleiner Bereich zu. Er war zu klein und zu schlecht ausgestattet, um Augenoperationen an Kindern durchzuführen. Aber ich hatte Glück: Licht für die Welt war zu diesem Zeitpunkt bereits in der Provinz Zambesia in der Augengesundheit aktiv und wir sind eine konstruktive Kooperation eingegangen.
Fehlendes Fachwissen
In Mosambik gab es damals, und gibt es zum Teil immer noch, einen großen Mangel an Fachwissen im Bereich Kinderaugengesundheit. Die Ausbildung ist unzureichend und so dachten damals viele Kolleg:innen (und viele denken es leider immer noch), dass Erkrankungen wie der Graue Star, Fehlsichtigkeit oder Schielen bei Kindern mit dem Erwachsenwerden von alleine vergehen. Tatsächlich ist es jedoch wichtig, Kinder so rasch wie möglich zu behandeln. Schließt sich das Fenster, in welchem das Gehirn lernt mit den Augen zu kommunizieren, können die Patient:innen nie wieder sehen, auch wenn der Grauer Star erfolgreich operiert oder die Fehlsichtigkeit korrigiert wurde. Nach dem 7 oder 8. Lebensjahr kann zwischen den Augen und dem Gehirn keine Kommunikation mehr erlernt werden. Späterkennung und zu späte Behandlung sind daher ein großes Problem.
Überzeugungsarbeit
Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn besuchte ich viele kleine Krankenhäuser und bat die dortigen Augenärzt:innen, mir ihre jungen Patient:innen für die nötigen Operationen zu überweisen. Ich wollte sie überzeugen, dass Kinderaugen rasche Behandlung brauchen und man hier nicht zuwarten darf. In dieser Zeit habe ich viele Schieloperationen durchführt. Schieloperationen waren in Mosambik damals kaum bekannt. Mit den Resultaten habe ich nicht nur meine Kolleg:innen überzeugt, sondern auch ihr Vertrauen gewonnen.
Status quo
Derzeit ist meine Augenabteilung die einzige in ganz Mosambik, die auf Kinder spezialisiert ist. Wir haben einen Operationssaal, einen Behandlungsraum, Personal und Geräte für die Refraktion, kindgerechte Zeichnungen an den Wänden sowie Lageräume für Materialien beziehungsweise Akten (Daten werden hier teilweise noch in Papier gelagert). In Summe sind 17 Menschen in der Augenabteilung beschäftigt.
Wöchentlich sehe ich rund 50 Patient:innen im Kindesalter und führe etwa fünf Operationen durch. 2023 haben mein Team und ich 426 Operationen durchgeführt. Der tatsächliche Bedarf ist jedoch viel größer!
Zu wenig Wissen und zu viele Mythen
Das Augenlicht von 40 % der erblindeten Kinder weltweit hätte durch rechtzeitige medizinische Behandlung gerettet werden können. (3) Ich vermute, dass der Anteil in Mosambik höher ist, aber wir haben diesbezüglich noch keine validen Daten. Die häufigsten Diagnosen sind Fehlsichtigkeit, Grauer Star, Grüner Star, Allergien, Retinoblastom, Infektionen und Traumata. Gemeinsam mit Licht für die Welt arbeiten wir daran, mehr Patient:innen zu erreichen. Das fehlende Wissen zu Kinderaugengesundheit ist eine große Herausforderung. Es führt zu Späterkennungen und damit zu einem Verlust des Augenlichtes.
So wollen wir mehr Kinder erreichen:
• Personal schulen
• Lehrer:innen nach dem ABC-Ansatz weiterbilden: A: Appearance: Wie sieht das Auge ist? / B: Behaviour: Wie verhält sich das Kind? Hat es Schmerzen? Schreibt es vom Nachbarn ab? / C: Complaints: Klagt das Kind über Schmerzen?
• Pflege- und Gesundheitspersonal für Diagnose und Behandlung in kleineren Gesundheitszentren sowie für die fachgerechte Überweisung in die tertiäre Versorgung ausbilden.
• Medizinisches Personal für die Diagnose und Behandlung in den Krankenhäusern schulen.
• Schulaugengesundheit
Licht für die Welt hat in vier von elf Provinzen Mosambiks angefangen in Schulaugengesundheit zu investieren. In den ausgewählten Provinzen werden Lehrer:innen fortgebildet, um regelmäßig Sehtests durchzuführen. Dafür werden sogenannte „Vision Corridors“ (siehe Bild) an den Schulgebäuden angebracht. Schüler:innen mit Augenprobleme werden nach einem Check durch geschultes Gesundheitspersonal je nach Bedarf zur nächsten Gesundheitsstation für eine Brille oder Behandlung und bei schweren Fällen, zu mir nach Quelimane überwiesen. Die Reisekosten übernimmt Licht für die Welt. Durch das Schulauengesundheitsprogramm haben wir allein in der Provinz Zambesia 32.271 Screenings im vergangenen Jahr durchgeführt. So erreichen wir Kinder auch in sehr abgelegenen Gebieten.
• Mythen aufklären
Wir arbeiten durch bewusstseinsbildende Kampagnen daran, Mythen aufzuklären. Folgende sind besonders präsent: Katarakt bei Kindern wachse sich mit dem Alter aus. Kinder sollen keine Brillen tragen, sie würden von dieser abhängig werden. Schielen oder Grauer Star wären eine Strafe und/oder Gottes Wille. Manche Menschen kehren nach einer Behandlung im Krankenhaus nicht zurück.
• Mobile Einsätze
Weil manche Distanzen für die Kinder zu weit sind, reise ich in andere Teile des Landes. Etwa zweimal pro Jahr mache ich im Norden, in Nampula, Schieloperationen (im November 2023 waren es etwa 75).
• Remote Counselling
Unser neues Projekt ist Remote Counselling via HandyApp. Gesundheitspersonal im ländlichen Bereich soll mit mir über eine App kommunizieren. Gemeinsam erstellen wir die Diagnose und organisieren die Behandlung.
Viele Jahre mit gesunden Augen
Viele Kinder in Mosambik müssen immer noch die Schule abbrechen, nur weil sie schlecht sehen und keine Brille bekommen. Zu viele Kinder verlieren ihr Augenlicht, weil sie zu spät medizinische Hilfe bekommen. Leider sind auch meine Operationszahlen noch viel zu gering. Aber, rechne ich die Lebensjahre der Patient:innen, die sie nach einer Behandlung mit gesundem Augenlicht verbringen, weiß ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir sind eine sehr junge Bevölkerung und ich bin dankbar, das Augenlicht vieler Kinder retten zu können. Sie nach erfolgreichen OPs und die Reaktionen der Eltern zu sehen, ist für mich das größte Geschenk. Ich weiß, dass sie so auf eine gute Zukunft blicken können.◗